Das bleibt alles so wie's hier ist

Multikulturell und interreligiös ist nur eine seichte Beschreibung der Stadt Jerusalem. Juden, Muslime und alle Spielarten des Christentums leben, beten und arbeiten hier alle nach eigenen Regeln.

Freitagabend (und somit zu Beginn des Sabbats) ging ich durch den jüdischen Teil der Stadt und konnte Unmengen an gut gekleideten Juden sehen, die sich nach dem Gottesdienst auf den Weg nach Hause machten, während die Geschäfte und Einkaufsgassen aufgrund des Ruhetages ausgestorben waren. Das arabische Viertel wiederum hat samstags natürlich geöffnet und verkauft fleißig alles, was das Händlerherz begehrt. Und dazwischen laufen katholische Mönche in die Grabeskirche um dort Gottesdienste abzuhalten. Ein Mangel an Vielseitigkeit kann dieser Stadt somit nicht vorgeworfen werden.

Doch meinen ganz persönlichen Alltag sollte ich auch kurz beschreiben. Da die Dormitio deutlich kleiner als Einsiedeln ist und somit mehr WG als Betrieb, sieht mein Alltag hier etwas vielseitiger aus. Statt festem Arbeitsplatz darf überall einmal mitgeholfen werden. Ob Kerzen in der Kirche erneuern, den Gang reinigen, im Gottesdienst den Lektorendienst übernehmen oder den Tisch decken, überall dürfen wir Volontäre mithelfen.

Eine ausführlichere Arbeit benötigt gerade der Garten. Dieser wurde während der Umbauarbeiten des Klosters etwas vernachlässigt und auch gerne als Lagerfläche missbraucht, sodass hier einiges erneuert werden kann. So durfte ich beispielsweise den Rasen mähen, der die Gräber der verstorbenen Mönche bedeckt. Gerne wird man dabei von den streunenden Katzen beobachtet, die sich gerne in den Klostergarten verirren und in mir einen fleißigen Streichler finden.


Aber auch die Bücher der Bibliothek müssen sortiert und eingerückt werden, eine Arbeit, die sich gerade für die allzu heißen Mittagsstunden eignet.

Am Mittwoch konnte ich der evangelischen Erlöserkirche (dem Pendant zur Dormitio, welche beide von Kaiser Wilhelm gespendet wurden) einen Vortrag von Oliver Owcza, dem Leiter des Vertretungsbüros der Bundesrepublik Deutschland in Ramallah, lauschen, welcher die politische Lage Israels und Palästinas etwas genauer erläuterte. Doch nicht nur der weltliche Besitzanspruch, auch der geistliche, macht das Leben hier kompliziert. Alle drei großen abrahamitischen Religionen verehren diesen Ort und erheben damit einen Anspruch auf gewisse Gebiete.

Eine Art des Friedens bietet dabei die Grabeskirche. Da dort der Überlieferung nach (und auch historisch ziemlich gesichert) die Kreuzigung, Grablegung und Auferstehung Jesu stattfand, finden sich dort Räumlichkeiten für die armenische, äthiopische, griechische, koptische, römische und syrische Kirche rund um das Heilige Grab wieder.


Die Teilung verlief nicht immer friedlich und so kam es oftmals zu handfesten Kämpfen zwischen den Konfessionen.

Auch die Besitzansprüche, die von Boden zu Wand wieder wechseln können, werden streitbewusst bewahrt, sodass manch Provokation wie das sinnlose Aufstellen einer Leiter vorkommen kann. Dies ermöglicht der Status quo, der seit 1853 besteht. Soweit ich dies verstanden habe, besagt dieser: Das bleibt alles so wie’s hier ist. Und es wird sich hier nichts dran rütteln.“. Oder etwas verständlicher ausgedrückt, wurden die bisherigen Einigungen eingefroren und zum Gesetz erhoben. Eine Regelung, die vielleicht auch im politischen Kontext ein friedvolleres Zusammenleben ermöglichen könnte. Ob der alte RTLII-Andreas ein heimlicher Friedensprophet war?

Mein bisheriges Highlight war ein Gottesdienst, den wir genau über jenem Heiligen Grab abhielten. Pater Simeon buchte bei den Franziskanern morgens eine halbe Stunde (da diese zu jener Zeit die „Verfügungsmacht“ über das Grab haben. Und so quetschten wir uns zu viert in die Kapelle, um am Auferstehungsort zu feiern.


Der Begriff Heiliges Land kommt nicht von ungefähr. Es lässt sich hier alle paar Meter ein heiliger Ort finden, so bemerkt man bei dem Schlendern über dem Markt, dass man sich gerade auf dem Kreuzweg befindet. Ein paar Minuten weiter schlüpft man in eine armenische Kirche, um dort das scheinbare Grab der Schädelreliquie des Apostels Jakobus zu sehen.


Und wenn man Pater Simeon auf seinem Weg zu einer franziskanischen Druckerei begleitet, kann man ein paar Meter weiter gehen, um dort in Betfage den Stein zu sehen, auf welchem Jesu den Esel bestiegen haben soll, mit welchem er nach Jerusalem ritt.

Hier gibt es demnach viel zu erleben (sicherlich mehr als in einem kleinen eingeschlafenen Schweizer Dorf) und so werden in den nächsten Wochen noch einige weitere Berichte von verehrten Stätten auftauchen.

Einen Aspekt möchte ich allerdings nicht unerwähnt lassen. Die kulturellen Streitigkeiten zeigen sich nicht nur in ein paar Faustkämpfen. Überall in der Stadt finden sich Soldaten mit Maschinengewehren um den Hals – soweit so bekannt. Allerdings dürfen auch Privatpersonen ganz offen Waffen tragen, so sieht man auch dicke Männer, die auch als Reservesoldat vollkommen ungeeignet wären, die mit Gewehr geschultert durch die abendliche Promenade keuchen. Wie gesagt, viel zu erleben.

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