Tragik und Trug
Nach den Erlebnissen der letzten Woche war diese eigentlich
ganz entspannt. Die Nachmittage durfte ich in der Gärtnerei aushelfen und den
klostereigenen Tee abfüllen. Gerne hätte ich meinen Dienst auch in den nächsten
Wochen fortgesetzt, doch leider prophezeit der Wetterbericht ein allzu kaltes
Wetter. Da die eingetopften Pflanzen bereits das Gewächshaus füllen und nicht außer
Haus gebracht werden können, muss die Arbeit erst mal unterbrochen werden.
Der neue Klosterzeitler Rafael ist nun auch angekommen und ich durfte ihm gleich eine Klosterführung geben. Dabei fällt mir beim Schreiben auf, dass ich ihm die Orgeln noch nicht gezeigt habe, doch zu diesem Genuss bin auch ich erst vor wenigen Tagen gekommen. Brother Basil (ein Besucher aus dem amerikanischen Kloster St. Meinrad – daher „Brother“) gab mir eine Erklärung dieses allzu komplizierten Musikinstrumentes. Doch noch beeindruckender ist die barocke Kulisse, er beschrieb sie mit seinem üblichen verschmitzten Lächeln als einen Vorgeschmack auf den Himmel.
Alles in allem nicht unmöglich und durch die emotionale
Ansprache habe ich ihr diese Geschichte auch ziemlich abgenommen.
Danach wollte sie kurz mit mir beten und nach einem Amen bat
sie mich ganz direkt um Geld. Mein Plan war, nach dem Gottesdienst mit ihr zu
Bruder Alexander, dem Pförtner, zu gehen, da das Kloster durchaus bedürftigen
Personen hilft. Doch dies blockte sie ab, sie war schon bei den Mönchen und die
würden ihr nicht glauben. Spätestens diese Aussage lies mich langsam zweifeln und
ich betonte, dass ich langsam in den Gottesdienst müsse und danach mit den
Mönchen sprechen würde. Sie wurde langsam drängender und verwies auf den
Geldautomaten ganz in der Nähe, da ihr Vermieter das Geld zwingend heute
verlangen oder sonst die Polizei rufen würde. Ob ich sie denn einfach stehen
lassen könne und das mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich müsste dies mit ins
Grab nehmen „und als Christ weißt du, was das bedeutet“. Ich versprach ihr um
13 Uhr nochmal mit ihr zu sprechen und sie verlangte, ich solle nichts den
Mönchen verraten, „sonst werde ich sauer mit dir“.
Von außen betrachtet eine offensichtliche Masche, doch die
emotionale Präsentation hat mich so sehr getroffen, dass die Frau mich während
der Messe weiter beschäftigte. Ich sprach vor dem Essen Pater Thomas an und er
versicherte mir ganz entspannt, dass es sich dabei um einen üblichen Betrugsversuch handeln würde, alles schon bekannt. Bei unserem gemeinsamen Kaffee warf ich
auch einen Blick auf den Klosterplatz und konnte die Frau dort nicht sehen.
Kandidat Jaden konnte mir eine ganz ähnliche Geschichte
berichten. Seine Unterhaltung begann ebenfalls mit der Frage, wann der
Gottesdienst beginnen würde. Damit scheinen die Betrüger herausfinden zu
wollen, ob es sich bei dem Gegenüber um einen Gläubigen oder nur einfachen
Touristen handelt und bei ersterem können sie dann ihre Show abziehen.
Doch was soll ich daraus lernen? Ich wurde schon ordentlich
sauer. Mit Betrügern kam ich schon in Kontakt, bspw. auf dem Stuttgarter
Hauptbahnhof, einem Mann, der unbedingt Geld für eine Fahrt nach Paris
benötigt, da sein Vater dort gestorben ist – na ja, unwahrscheinlich. Oder aber
den üblichen Bettlern mit ihren Schildern „habe Hunger“, „muss 3 Kinder
ernähren“, „brauche Geld, sonst wird mein Hund eingeschläfert“, oder, oder,
oder. Das konnte ich alles zynisch belächeln.
Was war diesmal anders? Waren es die großen Augen der
hübschen Frau, ihre Erzählung, dass sie Christin ist, oder das klösterliche
Umfeld, das für mich immer noch eine Atmosphäre der Heiligkeit ausstrahlt? Ein
Jordan Peterson spricht darüber, dass Betrug solch ein Problem darstellt, da es
die Realitätswahrnehmung seines Opfers anzweifeln lässt. Wenn ich auf eine wildfremde
Frau, der ich kein übermäßiges Vertrauen schenken konnte, so hereinfallen
konnte, wer mag mich noch betrügen? Sind die netten Worte meiner Mitmenschen
nur erlogen, werde ich ausgenutzt? Soll ich nun jedem Menschen in Not mit einem
zynischen Spruch abweisen?
Weil Betrug und Verrat solche Zweifel in den Menschen
schürt, verfrachtet Dante diese Täter in die tiefsten Kreise der Hölle.
Vielleicht bin ich immer noch ein wenig sauer…
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