Tragik und Trug

Nach den Erlebnissen der letzten Woche war diese eigentlich ganz entspannt. Die Nachmittage durfte ich in der Gärtnerei aushelfen und den klostereigenen Tee abfüllen. Gerne hätte ich meinen Dienst auch in den nächsten Wochen fortgesetzt, doch leider prophezeit der Wetterbericht ein allzu kaltes Wetter. Da die eingetopften Pflanzen bereits das Gewächshaus füllen und nicht außer Haus gebracht werden können, muss die Arbeit erst mal unterbrochen werden.



Der neue Klosterzeitler Rafael ist nun auch angekommen und ich durfte ihm gleich eine Klosterführung geben. Dabei fällt mir beim Schreiben auf, dass ich ihm die Orgeln noch nicht gezeigt habe, doch zu diesem Genuss bin auch ich erst vor wenigen Tagen gekommen. Brother Basil (ein Besucher aus dem amerikanischen Kloster St. Meinrad – daher „Brother“) gab mir eine Erklärung dieses allzu komplizierten Musikinstrumentes. Doch noch beeindruckender ist die barocke Kulisse, er beschrieb sie mit seinem üblichen verschmitzten Lächeln als einen Vorgeschmack auf den Himmel.

 



Doch beschäftigt hat mich diese Woche hauptsächlich eine junge Frau… Vor dem Gottesdienst bin ich ganz entspannt über den Klosterplatz geschlendert, um noch einen Kaffee zu trinken und pünktlich in die heilige Messe zu kommen. Vor der Tür kam eine Frau auf mich zu und fragt, wann der Gottesdienst beginnen würde. Nach meiner Antwort wollte ich weitergehen, doch sie bat mich mit einer weinerlichen Stimme noch ein wenig mit ihr zu sprechen, da sie etwas beschäftigt. Darauf habe ich mich gerne eingelassen, freute mich schon regelrecht einem fremden Menschen helfen zu können und sie begann mit ihrer Geschichte. Sie stamme aus Algerien und wurde in muslimischem Umfeld an einen misshandelnden Mann zwangsverheiratet. Sie flüchtete mit ihren Kindern in die Schweiz und erhielt einen abgelehnten Asylantrag, sei also die nächsten Monate illegal im Land, bis sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen könnte (die Mühlen der Bürokratie mahlen ja so langsam). Doch sie kann nicht zu ihrem Mann zurück, der nach islamischer Regelung die Verfügungsmacht über sie hat und jetzt ist sie auch noch zwei Monatsmieten im Rückstand (im Wert von 3.500 Franken). Ursprünglich kam sie nach Einsiedeln, um bei einem älteren Mann zu putzen, doch dieser drängte sie zu Sex und als Christin könne sie ja ihren Körper nicht verkaufen. Nun läuft sie im ganzen Ort herum und fragt um finanzielle Hilfe.

Alles in allem nicht unmöglich und durch die emotionale Ansprache habe ich ihr diese Geschichte auch ziemlich abgenommen.

Danach wollte sie kurz mit mir beten und nach einem Amen bat sie mich ganz direkt um Geld. Mein Plan war, nach dem Gottesdienst mit ihr zu Bruder Alexander, dem Pförtner, zu gehen, da das Kloster durchaus bedürftigen Personen hilft. Doch dies blockte sie ab, sie war schon bei den Mönchen und die würden ihr nicht glauben. Spätestens diese Aussage lies mich langsam zweifeln und ich betonte, dass ich langsam in den Gottesdienst müsse und danach mit den Mönchen sprechen würde. Sie wurde langsam drängender und verwies auf den Geldautomaten ganz in der Nähe, da ihr Vermieter das Geld zwingend heute verlangen oder sonst die Polizei rufen würde. Ob ich sie denn einfach stehen lassen könne und das mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich müsste dies mit ins Grab nehmen „und als Christ weißt du, was das bedeutet“. Ich versprach ihr um 13 Uhr nochmal mit ihr zu sprechen und sie verlangte, ich solle nichts den Mönchen verraten, „sonst werde ich sauer mit dir“.

Von außen betrachtet eine offensichtliche Masche, doch die emotionale Präsentation hat mich so sehr getroffen, dass die Frau mich während der Messe weiter beschäftigte. Ich sprach vor dem Essen Pater Thomas an und er versicherte mir ganz entspannt, dass es sich dabei um einen üblichen Betrugsversuch handeln würde, alles schon bekannt. Bei unserem gemeinsamen Kaffee warf ich auch einen Blick auf den Klosterplatz und konnte die Frau dort nicht sehen.

Kandidat Jaden konnte mir eine ganz ähnliche Geschichte berichten. Seine Unterhaltung begann ebenfalls mit der Frage, wann der Gottesdienst beginnen würde. Damit scheinen die Betrüger herausfinden zu wollen, ob es sich bei dem Gegenüber um einen Gläubigen oder nur einfachen Touristen handelt und bei ersterem können sie dann ihre Show abziehen.

Doch was soll ich daraus lernen? Ich wurde schon ordentlich sauer. Mit Betrügern kam ich schon in Kontakt, bspw. auf dem Stuttgarter Hauptbahnhof, einem Mann, der unbedingt Geld für eine Fahrt nach Paris benötigt, da sein Vater dort gestorben ist – na ja, unwahrscheinlich. Oder aber den üblichen Bettlern mit ihren Schildern „habe Hunger“, „muss 3 Kinder ernähren“, „brauche Geld, sonst wird mein Hund eingeschläfert“, oder, oder, oder. Das konnte ich alles zynisch belächeln.

Was war diesmal anders? Waren es die großen Augen der hübschen Frau, ihre Erzählung, dass sie Christin ist, oder das klösterliche Umfeld, das für mich immer noch eine Atmosphäre der Heiligkeit ausstrahlt? Ein Jordan Peterson spricht darüber, dass Betrug solch ein Problem darstellt, da es die Realitätswahrnehmung seines Opfers anzweifeln lässt. Wenn ich auf eine wildfremde Frau, der ich kein übermäßiges Vertrauen schenken konnte, so hereinfallen konnte, wer mag mich noch betrügen? Sind die netten Worte meiner Mitmenschen nur erlogen, werde ich ausgenutzt? Soll ich nun jedem Menschen in Not mit einem zynischen Spruch abweisen?

Weil Betrug und Verrat solche Zweifel in den Menschen schürt, verfrachtet Dante diese Täter in die tiefsten Kreise der Hölle. Vielleicht bin ich immer noch ein wenig sauer…

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